Blätterwerk

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist …

… weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt, schreibt Brecht an die Nachgeborenen.

Ein Pflaumenbaum als Lageposten

Für Norbert

Es ist eine Zeit, in der ein Pflaumenbaum weder Blüten noch Pflaumen trägt. Aber Blätter.

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Den Pflaumenbaum glaubt man ihm kaum,
Weil er nie eine Pflaume hat.
Doch er ist ein Pflaumenbaum,
Man kennt es an dem Blatt. (Bertolt Brecht)

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Das macht Pflaumenbäume zu Lageposten. Und die Botschaften, die in ihnen überwintern, finden sich weder mit dem Schweigen ab noch mit dem traumlosen leeren Schlaf, noch mit der Reglosigkeit des festgefrorenen toten Holzes:

„Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur scheinbar.“ (Franz Kafka)

Von dem Weltreisenden Georg Forster wird deshalb mit Blick auf die Nachfahrenden und den Reisenden Nachfolgenden das Interesse auf die Flaschenposten und Briefe gelenkt, die sich manchmal in der Nähe solcher Baumstämme finden. Und noch als entrindete Bäume ermöglichen sie die Verortung von Botschaften, die mit Ihnen hinterlassen wurden:

„Ein gewöhnliches Mittel, dessen sich die Seefahrer bedienen, wenn sie, auf unbewohnten oder neu entdeckten Küsten ihren Nachfolgern etwas bekannt machen wollen. Man steckt einen solchen Brief deshalb in eine Flasche, um ihn vor der Nässe zu bewahren, und die Bouteille wird sodann, an einem leicht in die Augen fallenden Ort, gemeiniglich in der Gegend, wo die Anwesenden ihre Wasserfässer gefüllt haben, unter einem Baume vergraben, der entweder durch eine angehängte Tafel, oder durch eingehauene Zeichen kenntlich gemacht wird, damit der Neuankommende gleich gewahr werde, an welcher Stelle er nachgraben müsse.“ (Georg Forster: Reise um die Welt (1777), hrsg. und mit einem Nachwort von Gerhard Steiner, Frankfurt am Main, 1983,  S. 451)

Wenn man solche Flaschenposten öffnet und lauscht, dann klingt es manchmal von Ferne: Mei hua. Mei hua. Mei hua – Mei Hua San Nong.

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Vielleicht hätte das Brecht gefreut. Vielleicht hätte er öffentlich Missfallen bekunden müssen, ob der Blüten, die solche Pfropfungen treiben – und der Früchte, die sie hervorbringen. Vielleicht hätte er Eichendorffs Gedanken geteilt: „Es redet so trunken die Ferne wie von künftigem, großem Glück.“ Vielleicht aber auch es mit Goethe „Hoffnung“ genannt, nicht leere Träume also, sondern Baumstangen, die einst noch Frucht und Schatten geben werden.

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Allerdings sind auch Pflaumenbäume mit Vorsicht zu genießen. „Ein Blatt, baumlos“, widmet Paul Celan Bertolt Brecht:

Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es soviel Gesagtes
mit einschließt?

Ein Gedicht selbst kann, hat Paul Celan einmal gesagt, eine Flaschenpost sein. Für Adorno konnte die Musik dazu werden, in Form einer „verderblichen“ Augenblickskugel. Aber das steht auf einem anderen Blatt und in einer anderen Post zur Lage toter Bäume in blühenden Träumen (nicht zur Vorstellung der blühenden Bäume in toten Träumen wie bei Heidegger).